Pilgern in der Toskana

Wozu das Ganze

Tatsächlich sind ich und meine Partnerin leidenschaftliche Wanderer. Wir wandern regelmässig an den verschiedensten Orten in der Schweiz. Die letzten Monate haben uns in den verschiedensten Facetten des Lebens auf die Probe gestellt. Mit der Aussicht auf baldige Ferien wollten wir etwas unternehmen, das uns fordert, aber gleichzeitig aufatmen lässt. Was wäre da geeigneter als eine Wanderung in der Toskana? Für den Pilgerweg haben wir uns nicht aus traditioneller Überzeugung entschieden, sondern rein aus «Wanderlust». So wollten wir keine Stempelsammlung mit dem Pilgerpass starten, sondern stattdessen die Anwesenheit des Weges geniessen. Als zusätzlicher Anreiz sollte das Smartphone offline bleiben, um jeglichen geschäftlichen Kontakt zu vermeiden.

Vor der Reise

Aus verschiedenen Berichten haben wir Empfehlungen und Tipps gesammelt. So wird beispielsweise empfohlen, nicht mehr als 10% des eigenen Körpergewichts am Rücken, bzw. auf den Hüften zu tragen. In meinem Fall wären das 7kg. Der Rucksack, den ich normalerweise verwende, hatte bereits ein sehr hohes Eigengewicht und wurde volumentechnisch etwas knapp. Kurzerhand habe ich mich dafür entschlossen, einen ultraleichten Deuter zu kaufen. Nachdem ich schlussendlich doch ein paar Dinge wieder ausgepackt habe, bin ich bei rund 8.6kg gelandet. Darin enthalten waren bereits Verpflegung und 1.5 Liter Wasser. Selbstverständlich wollte ich eine Kamera mitnehmen, um die Sehenswürdigkeiten auf dem Weg festhalten zu können. Nach kurzen Überlegungen, habe ich mich dazu entschlossen, eine Kamera, einen Akku und ein Objektiv einzupacken. Mit meinem 50mm Objektiv wog das gesamte Kameraequipment knapp unter einem Kilo, was perfekt war. Die «Einschränkung» der Ausrüstung sollte mich dazu verleiten, bewusster fotografieren zu können.

Nach dem Entscheid, dass wir von Lucca nach Siena wandern wollten, haben wir einen Reiseführer gekauft, der den «via Francigena» Pilgerweg beschreibt. Statt vor Ort auf eine Pilgerunterkunft zu hoffen, haben wir die Reise in machbare, jedoch anspruchsvolle Etappen eingeteilt und die Unterkünfte (meist Airbnb) im Voraus gebucht. 

Tag 1 | Anreise | 21. Mai 2023

Die aktuelle Hochwasserwarnung um Bologna hat uns etwas verunsichert. Zu keinem Zeitpunkt wurde es jedoch zu einem Problem. Die Zugfahrt verlief pünktlich und einwandfrei. Bis genau da, wo das schweizer Personal den Zug an die italienische Crew übergab. Gleich wurden alle Monitore mit der Stationsübersicht ausgeschaltet und mit jedem Halt zur Verspätung beigetragen. In Mailand haben wir dann den Anschluss verpasst. Da eine Platzreservation nicht mehr möglich war, haben wir uns im Gang eingerichtet. Das war ganz ok. So reisten wir also von Liestal über Zürich, Milano, Florenz nach Lucca. Dort angekommen, bezogen wir ein kleines Zimmer in einem einfachen Hotel für die erste Übernachtung. Das Nachtessen in der kleinen Stadt Lucca gehörte selbstverständlich dazu. Zudem haben wir die Schilder unseres Pilgerwegs entdeckt, damit wir am Morgen darauf gleich wissen, in welche Richtung unser Weg starten sollte.

Tag 2 | Lucca nach Altopascio | 22. Mai
Die Uhr zeichnete an diesem Tag 29491 Schritte und 21.17 Kilometer auf.

Unsere erste Strecke war landschaftlich etwas ernüchternd. Der Weg führte an Hauptstrassen durch die Industrie. Erst in den letzten Kilometer wurden wir auf einen Schotterweg geführt, der uns durch ein paar idyllische Landschaften begleitete. Danach gings dann wieder auf Stein- und Teerstrassen weiter. Der Himmel trug Wolken, die sich jedoch nur selten vor die Sonne schoben. Es war sehr heiss. Pro Person haben wir rund 2 Liter Wasser getrunken. In Altopascio angelangt, waren wir körperlich relativ erschöpft und die Schuhe ausziehen zu können, war eine Wohltat. Nach einem Kaffee in einer kleinen Beiz, nahmen wir unsere Airbnb-Unterkunft für die nächste Nacht entgegen. Kurz nach unserer Ankunft startete ein Gewitter, welches viel Regen mit sich brachte. Wir sind gespannt, was der nächste Tag bringt.

Einige Highlights, die wir gesehen haben: eine kleine Schlange am Wegesrand

Tag 3 | Altopascio nach Fucecchio | 23. Mai
Die Uhr zeichnete an diesem Tag 33690 Schritte und 23.96 Kilometer auf.

Zu diesem Tag darf man sagen: «Es war heiss!». Die Sonne hat uns ordentlich gegrillt. Der Weg führte uns jedoch durch schöne Landschaften. Und ab und zu auch durch kleine Wälder. Dort war jedoch ständiges Gehen angesagt, bei einem Stillstand sassen nämlich gleich unmengen Mücken auf der Haut. Etwa nach einem Drittel, haben die Füsse meiner Freundin langsam aber sicher den Dienst verweigert. Angefangen bei einem starken Brennen und schlussendlich mit einigen Blasen. Ab da ging unser Reisetempo langsamer voran. Glücklicherweise hatten wir keinen Zeitdruck für die nächste Unterkunft. Die letzten Kilometer Richtung Fucecchio waren knallhart. Mitten auf einem Feld, bei praller Sonne wollte der Weg kein Ende nehmen.

Einige Highlights, die wir gesehen haben: eine Schildkröte und einen Bieber (nicht Justin) im Wasser

Tag 4 | Fucecchio nach Coiano | 24. Mai
Die Uhr zeichnete an diesem Tag 32066 Schritte und 22.77 Kilometer auf.

Am Vormittag wurden wir von einer schönen Landschaft und viel Sonne begrüsst. Für mich persönlich war das ein sehr guter Tag. Meine körperliche und geistige Verfassung war hervorragend. Melanie hat trotz den wunden Füssen, welche nun Blasen trugen, ebenfalls ein gutes Tempo gehalten, dadurch sind wir beide gut vorangekommen. Über den Mittag führte der Weg etwas unangenehm an einer befahrenen Strasse entlang. Das wurde jedoch am späteren Nachmittag mit einem wunderschönen Weg durch die typisch toskanische Landschaft wettgemacht. Später zog ein Gewitter knapp an uns vorbei. Es blieb jedoch bei ein paar kleinen Tropfen auf unserem Weg, die wir mit der verbundenen Abkühlung dankend begrüssten.

Angekommen sind wir auf einem Weingut bei Coiano. Begrüsst wurden wir von netten Menschen, einem Pool, wunderschönem Panoramablick und einer Flasche roten Weins. Und diesmal waren wir tatsächlich ab vom Schuss. Kein Sirenengeheul, kein Strassenlärm, keine plappernden Menschen. Nur wir und das Weingut.

Einige Highlights, die wir gesehen haben: ein Reh und ein Hase der uns ein Stück auf dem Weg begleitet hat

Tag 5 | Coiano nach San Gimignano | 25. Mai
Die Uhr zeichnete an diesem Tag 41602 Schritte und 29.32 Kilometer auf.

An diesem Tag tauchten wir richtig in die Toskana ein. Es war die längste Etappe, über deren Erfolg wir bereits bei der Planung gerätselt haben. In Gambassi Terme mussten wir dann eine Entscheidung fällen: Starten wir den letzten Abschnitt, der noch mehr als 12km mit viel Höhenmeter reicht, oder nehmen wir einen Bus bis zur nächsten Unterkunft. Die Füsse von Melanie wiesen zu diesem Zeitpunkt rund 7 Blasen auf, der Weg zwischen Gambassi Terme und San Gimignano war abgelegen, konnte also nicht von einem Bus oder Taxi erreicht werden und es zog ein Gewitter auf. Klar, dass wir uns nicht für den Bus entschieden haben. Es ging nun also weiter auf einem Weg quer durch die Toskana. Und nach einiger Zeit sahen wir San Gimignano in der Ferne über einem Weinfeld. Wäre mir nun Tyrion Lannister über den Weg gelaufen, hätte ich mich nicht gewundert. Die Stadt war ein wundervoller Anblick. Dort angekommen, empfing uns eine Stimmung, die dem Ort etwas Magisches verlieh. Und als wir dann auf dem grossen Platz im Zentrum angelangt sind, spielte dort ein Violinist tatsächlich die Lieder von Game of Thrones und Witcher. Unsere Unterkunft war das Palazzo Mainardi, ein Gebäude, das im Jahr 1300 erbaut wurde. In diesem Gebäude lebte einst Sebastiano Mainardi, der mit seinem Bruder Domenico Ghirlandaio die Kirche St. Agostino mit Fresken bemalte.

Tag 6 | San Gimignano nach Colle di Val d'Elsa | 26. Mai
Die Uhr zeichnete an diesem Tag 27098 Schritte und 18.93 Kilometer auf.

Da wir heute «nur» rund 15 Kilometer wandern geplant haben, war die ursprüngliche Idee, den Vormittag in der kleinen Stadt San Gimignano zu verbringen. Der Zauber des Vorabends wurde jedoch durch den dort herrschenden Tourismus-Betrieb schnell lästig und hat uns die Lust, dort länger zu verweilen, etwas genommen. So sind wir bald in der sengenden Hitze der Mittagssonne gestartet. Selbstverständlich zuerst auf dem Teer und ohne Schatten. Später zogen wir an Weinreben und Waldstücken vorbei und schon bald waren wir wieder draussen in der Natur. 

Um die Mittagssonne etwas zu überbrücken, haben wir uns einen schattigen Platz gesucht und gefunden. Unter den Bäumen haben wir mit Jacken, Kleidungsstücken und einem aufblasbaren Kissen ein kleines Lager errichtet. Während Melanie bereits etwas entspannte, hörte ich einen speziellen Vogel, den ich noch nie zuvor gehört hatte. Und dann erhaschte ich einen Blick auf das Exemplar. Selbstverständlich wollte ich mehr erfahren, also schnappte ich mir die Kamera und schlich um unser Lager, auf der Suche nach dem speziellen Geflügel. Ich habe ihn noch oft gehört, jedoch nicht mehr gesehen. Ein neues Geräusch ein paar Meter neben mir hat meine Aufmerksamkeit erregt. Die Schlange war blitzschnell unterwegs und konnte nicht nur schnell am Boden kriechen, sondern auch auf Sträucher und Bäume «schlängeln». Von da an wurden wir regelrecht von Schlangen verfolgt. Die waren tatsächlich überall unterwegs. Wir wissen jetzt, kurze Raschelgeräusche sind von Echsen, lang anhaltend und schleifende Raschelgeräusche sind von Schlangen.

Einige Highlights, die wir gesehen haben: einige Schlangen, zwei Höhlen, ein sehr spezieller Vogel, ein paar Büsis, ein netter Hund zum Knuddeln.

Tag 7 | Colle di Val d'Elsa nach Bracciano | 27. Mai
Die Uhr zeichnete an diesem Tag 27457 Schritte und 19.16 Kilometer auf.

Gestartet haben wir leider, wieder einmal, an der Strasse entlang. Nach ein paar Kilometer führten uns die nun allzu bekannten Wegbeschreibungen Richtung Feld- und Waldweg. Auch an diesem Tag wurde es sehr heiss. Da wir jedoch früher gestartet sind, war die Hitze erträglicher. Die letzten Kilometer zu dem kleinen Städtchen Monteriggioni waren schwer zu bewältigen. Dort angekommen, wuselten die Touristen umher. Es war interessant, durch die Gassen zu schlendern, nach einem kleinen Sandwich im Restaurant, sind wir jedoch baldmöglichst wieder von dort «geflohen». Und da passierte es: Wir haben Pilgerer getroffen, die nicht wir sind. Und es waren Schweizer – jedenfalls die nette Dame.

In einem Waldstück sind wir dann bei unserer Bleibe für die Nacht angekommen. Einmal durch die Küche des pensionierten Ehepaars, die Treppe hoch und in das kleine Zimmer im ersten Stock. Hier gibt es weder ein Restaurant noch eine Einkaufsmöglichkeit. Also haben wir etwas zu Essen und Trinken mitgebracht.

Tag 8 | Bracciano nach Siena | 28. Mai
Die Uhr zeichnete an diesem Tag 31814 Schritte und 22.49 Kilometer auf.

Am Vorabend des letzten Wandertags dachten wir noch, dass dieser letzte Tag ein Leichtes werden wird. Wir lagen falsch. Es wurde nochmals richtig nervenzehrend. Viel Sonne, Hitze und steile Aufstiege an befahrenen Strassen. Die Entfernung zwischen uns und Siena wollte nicht kürzer werden. In den letzten Stunden gesellten sich zunehmend Pilgerer dazu, die wir zuvor nicht gesehen haben. Mit dem Duft des Ziels in der Nase, haben wir nochmals unsere Beine in die Hand genommen. Zwar nicht sonderlich schnell, aber stetig. Einen Fuss vor den anderen. Siena liegt auf einem Hügel, aber auch da sind wir hoch. Die Stadt ist lang und als wir die ersten Torbogen erreicht haben, trennten uns immer noch mehrere Kilometer vom Zentrum der Stadt, wo wir hin wollten. Dort anzukommen war eine Freude, die wir gleich mit einem Drink und einer Pizza feierten. Klar, es war nicht die gesamte Reise von Canterbury aus, aber dennoch eine Woche Pilgern am Stück. 

Tag 9 | Siena nach Hause | 29. Mai

Die Rückreise war langwierig. Ich persönlich fahre nicht gerne Zug. Besonders, wenn die Zeiten für den Umstieg bei kleinsten Verspätungen ins Wanken geraten – was selbstverständlich passiert ist. Zudem war die Klimaanlage in den Zügen eingestellt, als wären wir eingelagerte Gelati Gasparini. Trotz Pullover und Jacke kassierte ich eine Erkältung zum Abschluss. 

Fazit

Würde ich das wieder machen? Für diese Antwort ist es noch zu früh. Ich könnte mir vorstellen, einen weiteren Abschnitt mit dem Fahrrad zu machen. Wir haben viel gesehen, viel erlebt und viel ausgehalten. Die Erinnerungen sind es auf jeden Fall Wert.